Riskante Prognose

Rheinischer Merkur, 22. Juli 2010

Foto In Italien sollen Forscher angeklagt werden, weil sie nicht vor einem Erdbeben warnten. Ein Fall von falschen Erwartungen an die Wissenschaft.

Die Stadt L'Aquila nordöstlich von Rom schläft tief und fest. Plötzlich zittert der Boden, Möbel kippen, Mauern knicken ein. Es ist der 6.April 2009, nachts um halb zwei. Wenig später ist die Regionalhauptstadt der Abruzzen ein Trümmerfeld: Hunderte Menschen sterben, etwa 1500 werden verletzt und Zigtausende obdachlos. Ein Jahr später bewältigt Alfredo Rossini, Oberstaatsanwalt in L'Aquila, das Trauma auf seine Art. Er kündigt sechs Erdbebenexperten und einem Behördenvertreter eine Anklage an: wegen 308-fachen fahrlässigen Totschlags.
Die Ermittlungen kreisen um eine Expertenkonferenz. Im März 2009 berieten Enzo Boschi, Präsident des Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanologie (INGV), Franco Barberi, Geochemiker und Vulkanologe an der Universität Roma Tre, Bernardo De Bernardinis, stellvertretender Leiter des italienschen Zivilschutzes, und weitere Wissenschaftler über das Bebenrisiko im Abruzzengebiet. In der Presse wurde die Einschätzung wiedergegeben, eine zuvor aufgezeichnete Serie kleinerer Erdstöße sei vermutlich nicht als Vorbote eines größeren Bebens zu sehen. Doch es kam anders.
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Pressefreiheit nützt nur, wenn es unbequeme Journalisten gibt.
(Gerhard Kocher, Schweizer Politologe)